Afrikanische Frauenliteratur

(Auszüge/Zitate aus einem Artikel von Martina Kopf, veröffentlicht in "an.schläge" 9/97)

Wir tun uns im allgemeinen leicht, darüber zu sprechen, was und wie eine Schriftstellerin schreibt. Aber was und wie wir lesen, ob wir gut lesen oder schlecht, steht selten zur Debatte.

Nun kann Literatur, und darin liegt ja auch ihre Magie, Entferntes in unmittelbare Nähe rücken.

Das tatsächlich andere verbirgt sich hier im scheinbar Gleichen ... Im scheinbar anderen kommt uns das ewig Gleiche entgegen ... Das grundlegend andere, das sich im scheinbar Gleichen verbirgt.

Es ist nicht selbstverständlich, hier afrikanische Literatur zu lesen ... Umgekehrt gilt das gleiche nicht. So ist jede zeitgenössische afrikanische Schriftstellerin auf die eine oder andere Art durch die Schule der anderen gegangen. ... Und genau das ist uns nicht ausreichend bewußt, wenn wir hier einen Text aus afrikanischer Hand lesen: Daß wir, in dem Moment, in dem wir lesen, bereits gelesen worden sind. Daß unser kulturgeschichtlicher Text in diesem Text bereits enthalten ist ... Nein, ein ganz allgemeines Interesse an der eigenen Geschichte zu haben, ist Grund genug, Texte aus afrikanischer Hand zu lesen.

Das Magische am literarischen Text ist unter anderem, daß er über ungeheure Entfernungen hinweg Nähe schaffen kann. Daß er Begegnungen möglich macht, die nirgendwo sonst stattfinden. Diese magische Qualität können wir ihm aber auch ohne weiteres stehlen – eben wenn wir ihn nicht zu lesen verstehen. ... Kürzen sie den Weg, den der Text bis hierher nahm, lesenderweise nicht ab. Aber glauben sie auch nicht, er würde sich in einer Ferne zutragen, wo sie nicht involviert sind. Die Ferne ist anderswo. Rauben sie ihm seine Bedeutungen nicht, die anderen Bedeutungen, die sich im scheinbar Gleichen verbergen. Spüren sie ihnen nach. ...

Hören sie sorgfältig hin. Lassen sie sich überraschen. Hören sie hin auf das, was ihre Lesegewohnheiten irritiert, wo sie lesend ins Stocken geraten. Wo sie sich vielleicht ärgern, vielleicht wundern. Und nehmen sie diese Momente des Stockens zum Ausgang, ihre Lesegewohnheiten zu erforschen, zu prüfen. Dort beginnt der Dialog, dort ist der Ansatz für eine Lesart, die weder Vereinnahmung noch distanzierende Objektivierung des anderen Textes ist. Ein liebendes Lesen wäre ein Lesen, wo der andere und der eigene Text –also alles, was wir während der Lektüre schon im Kopf haben, schon zu wissen glauben – sich zueinander hin öffnen, ineinander gehen und aneinander Veränderungen vornehmen. Das verlangt eine große Beweglichkeit des Denkens. Das verlangt von uns „(b)eständig zu der Annahme bereit (zu) sein, daß ein anderer etwas anderes ist als das, was man in ihm liest, wenn er zugegen ist (oder wenn man an ihn denkt). Oder viel mehr in ihm ... zu lesen, daß er gewiß etwas anderes, vielleicht etwas völlig anderes ist als das, was man in ihm liest", wie Simone Weil geschrieben hat.

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